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Sabine Mense
Bis zum nächsten Regen
„Da ist nichts mehr zu machen!“. Selbstgefällig schaut er mich über seine Brille an. Er zuckt mit den Schultern und schiebt mir meine schwarzen Riemchenschuhe über die Theke zurück. „Wirklich nicht?“, frage ich noch einmal. „Wirklich nicht!“, antwortet er bestimmt. „Möchten Sie sie gleich hier lassen?“, fragt er. „Nein“, antworte ich leise, „ich nehme sie mit.“ Er dreht sich um und schlurft zurück in seine Werkstatt. Langsam packe ich die Schuhe und den abgebrochenen Absatz in meine Tasche. Auf dem Nachhauseweg komme ich an einem Schuhcontainer vorbei. Doch ich bringe es nicht übers Herz, sie hineinzuwerfen. Zuhause nehme ich einen Schuh aus der Tasche und streiche über das Leder. Die kleine Kerbe hinten rechts hatte das Kopfsteinpflaster in Brügge darauf hinterlassen. Damals, vor fünf Jahren. Da lebte Michael noch. Zärtlich streiche ich über die Rillen im Inneren des Schuhs. Ich musste mich immer auf die Zehenspitzen stellen um ihn zu küssen.
Ich drücke den Schuh an mich und betrachte den Absatz, der beim anderen nun abgebrochen war. Wie viele Kilometer haben mich diese Schuhe durch mein Leben getragen? Wie lange habe ich sie bewohnt? Ich drücke den einen Schuh an mich. Den einen, der ohne den anderen nicht existieren kann. Ich küsse die Schuhspitze und rieche den vertrauten Geruch des Leders. Dann gehe ich in den Garten und grabe ein Loch. Dort hinten beim Agapanthus. Sorgfältig wickele ich meine alten Schuhe in eine blaue Tischdecke und legte sie hinein. Mit beiden Händen schiebe ich die lockere Erde darüber. Barfuss trete ich den Boden gerade. Bis zum nächsten Regen kann man die Abdrücke meiner Zehen sehen.

Aus Anthologie „Grenzlicht“. Hrsg. Von Alfons Huckebrink und Frank Lingnau. Edition Wasserburg, 2009.
ISBN 978-3-9812570-5-2